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So weit so gut

Rund ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet gelegentlich oder regelmäßig am Sonntag (Statistisches Bundesamt 2013). Doch stellt sich die Frage: Welche Sonntagsarbeit ist gesellschaftlich notwendig und lebensdienlich und welche ist es nicht? Bei den Rettungsdiensten, in Krankenhäusern oder Pflegeheimen dürfte die Antwort unstrittig sein. Diese Arbeit ist auch sonntags unverzichtbar. Doch wie steht es z. B. mit dem Einzelhandel? Das aktuelle hessische Ladenöffnungsgesetz erlaubt vier verkaufsoffene Sonntage. Doch Initiativen wie „Selbstbestimmter Sonntag“ fordern, den Sonntagsverkauf weitgehend zu liberalisieren.

Wie weit wollen wir gehen? Wo ziehen wir die Grenze, um möglichst vielen einen arbeitsfreien Sonntag zu ermöglichen?

Kauf-Nix-Tag

Von Susanne Niemeyer, Autorin Andere Zeiten

Heute ist Kauf-Nix-Tag. Die Geldbörse kann zu Hause bleiben. Kein Milchkaffee unterwegs und auch nicht schnell noch Blumenerde und Deo kaufen. Statt der S-Bahn das Fahrrad, statt der Zeitung ein Buch vom Wollte-ich-noch-lesen-Stapel. Was eigentlich für jeden Sonntag gelten könnte, hat ein festes Datum: den letzten Sonnabend im November. Vor 15 Jahren wurde der Kauf-Nix-Tag in Kanada ins Leben gerufen. Ein kurzes Innehalten im unaufhörlich fließenden Strom des Konsums: Was kaufe ich und warum? Interessieren mich die Herstellungs-bedingungen? Wie viele Käufe sind Frust-, Langweile- oder Belohnungskäufe?

Die New Yorker Journalistin Judith Levine entschied sich gleich für ein ganzes Kauf-Nix-Jahr. Und schrieb darüber ein Buch, „No Shopping“. Als sie bei ihren Weihnachtseinkäufen plötzlich vor Augen hatte, dass die meisten der elektronischen Spielzeuge, Pullover, Kerzenhalter spätestens in sechs Minuten auf irgendeiner Müllhalde langen würden, beschloss sie aus dem Shoppingkarussell auszusteigen, Zumindest für eine Zeit. Zusammen mit ihrem Mann verzichtete sie auf alles. Was über das nötigste hinaushing: Keine neuen Pumps, keinen Blumenstraß, nicht mal ein Buch oder einen neuen Tintenroller. Dabei ging es ihr nicht um Selbstkasteiung. Sondern darum herauszufinden: Was macht mich eigentlich aus? Denn wer kauft mit einem bestimmten Kleidungsstück nicht auch ein Stück Identität? Oder versichert sich mit dem Latte Macchiato im Lieblingscafé, der Autorenlesung oder der Filmpremiere „dazugehören“?

Judith Levine merkte zunächst, dass Enthaltsamkeit einsam macht: Bei Gesprächen über den neusten Kinofilm oder das gerade eröffnete Restaurant konnte sie nicht mehr mitreden. Sie suchte Alternativen, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und entdeckte den öffentlichen Raum: Bibliotheken und Parks. Sie begann sich politisch zu engagieren und merkte, wieviel Spaß es macht, sich für andere einzusetzen. Am Ende fühlte sie sich verwandelt: von der Konsumentin zur Bürgerin.

sonntags – Erfindung der Freiheit, 2009.
Hamburg: Andere Zeiten e.V., www.anderezeiten.de

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Was tun am und was tun mit dem Sonntag?

Von Bernd Biewendt, Öffentlichkeitsbeautragter Evang. Dekanat Bergstraße

„Höret dies, die ihr die Armen unterdrückt und die Elenden im Lande zugrunde richtet und sprecht: Wann will denn der Neumond ein Ende haben, dass wir Getreide verkaufen, und der Sabbat, dass wir Korn feilhalten können.“ So lautet die Klage im Buch Amos (Am 8,5). Das ist 2.800 Jahre her und klingt sehr aktuell. Dass am arbeitsfreien Sabbat nicht gekauft und verkauft werden konnte, stieß offenbar schon damals einigen wirtschaftlich ziemlich sauer auf. Und heute? Statt der Kornspeicher sollen die Geschäfte geöffnet werden. Am besten immer.

So fordert die Initiative "Selbstbestimmter Sonntag", zu der unter anderem Kaufhof und Karstadt gehören, den Sonntagsverkauf weitgehend zu liberalisieren. Begründung: verkaufsoffene Sonntage seien Teil der Freizeitgestaltung, bei denen sich der Konsument frei entfalten könne. Eine perfide Argumentation: Legt sie doch nahe, dass diejenigen, die für den Sonntag als Ruhetag eintreten, mündige Bürger nur gängeln wollen. Demgegenüber erscheinen die Sonntagsverkäufer als Verfechter von Freiheit und Selbstbestimmung.

Freiheit spielt auch im hessischen Ladenöffnungsgesetz eine Rolle – zumindest semantisch. Während in den meisten anderen Bundesländern die Geschäftszeiten durch ein Ladenschlussgesetz geregelt werden, hat Hessen das Ladenöffnungsgesetz. Mit „Öffnung“ statt „Schluss‘“ will der Gesetzgeber offenbar die „Freiheit“ betonen. Gemeint ist nicht die Freiheit zur Besinnung, die Freiheit zur Muße, die Freiheit, den Sonntag mit der Familie oder mit Freunden zu verbringen, die Freiheit, Sport zu treiben, die Freiheit, Gemeinschaft in Vereinen zu erleben, die Freiheit, einem Hobby nachzugehen oder die Freiheit, die Seele einfach mal baumeln zu lassen. Nein, gemeint ist die Freiheit an vier Sonntagen im Jahr die Läden öffnen, kaufen und verkaufen zu können. Der Grad der Freiheit misst sich demnach an den Möglichkeiten des Konsums.

Doch auch alle, die gegen Sonntagskommerz sind, dürfen und sollten sich selbstkritisch fragen, ob sie selbst durch ihr Konsum- und Freizeitverhalten anderen sonntags nicht jede Menge Arbeit machen. Wir sind es gewohnt, uns sonntags bedienen zu lassen – im Café oder im Restaurant. Wie steht es mit dem Museumsbesuch und der Sonntagsarbeit der Museumsbeschäftigten? Auch Theater und Kino sind sonntags ohne Arbeit nicht denkbar. Und verzichten wir etwa auf Bus und Bahn und gehen 30 Kilometer zu Fuß, um sonntags unsere Verwandten zu besuchen? Wohl kaum!

Welche Sonntagsarbeit ist gesellschaftlich notwendig und lebensdienlich und welche ist es nicht? Bei den Rettungsdiensten, in Krankenhäusern oder Pflegeheimen dürfte die Antwort unstrittig sein. Diese Arbeit ist auch sonntags unverzichtbar. Doch wie steht es  - um nur ein Beispiel zu nennen – mit den Sonntagsbäckereien? Sonntags in ein frisches Brötchen zu beißen, setzt voraus, dass zuvor andere dafür arbeiten müssen. Und ist Sonntagsarbeit, die durch den Brötchenkauf beim Sonntagsbäcker anfällt, anders zu bewerten als die Arbeit, die wir beim sonntäglichen Essen in einem Restaurant verursachen? Da dürfte die Antwort schon weniger eindeutig ausfallen.

Was ist mit Pfarrerinnen und Pfarrern? Die arbeiten doch sonntags auch, das ist doch ihr Hauptarbeitstag ist, ist immer wieder zu hören. Das stimmt so nicht! Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten sonntags nicht, sie feiern Gottesdienst. Und feiern ist erlaubt!

Nichts tun und den Sonntag einfach geschehen lassen

Was tun am und was tun mit dem Sonntag? Von dem französischen Schauspieler und Sänger Maurice Chevalier stammt der Satz: „Es gibt Millionen Menschen, die sich nach Unsterblichkeit sehnen, die aber nicht wissen, was sie an einem verregneten Sonntagnachmittag anfangen sollen.“ Die Schriftstellerin Mascha Kaléko gehört nicht dazu. Sie weiß, was sie mit dem Sonntag „anfangen“ will. Ihr Plädoyer: nichts tun und den Sonntag einfach geschehen lassen. In ihrem Gedicht „Sonntagmorgen“ heißt es:

       Die Fenster der Geschäfte sind verriegelt
       Und schlafen sich wie Menschenaugen aus.
       Die Sonntagskleider riechen frisch gebügelt.
       Ein Duft von Rosenkohl durchzieht das Haus…
       Auf dem Balkon sitzt man, von Licht umflossen.
       Ein Grammophon kräht einen Tango fern.
       Man holt sich seine ersten Sommersprossen
      Und fühlt sich wohl. - Das ist der Tag des Herrn.

Nun gibt es sicherlich ungezählte Zeitgenossen, die es sonntags gerade nicht im Haus hält. Und im Zeitalter der Streaming-Dienste ist das Grammophon ja auch von vorgestern. Die Autorin Susanne Niemeyer macht einen anderen Vorschlag. Sie plädiert für die direkte Kommunikation, die persönliche Ansprache der Mitmenschen, die mit Lob nicht geizt. Der Sonntag – freie Zeit für das Leben, für die Lieben und für das Lachen.

    Sag doch mal wieder was Liebes.
    Irgendwem. Einfach so. Unverhofft.
    Dass das blaukarierte Kleid deiner Nachbarin vortrefflich sitzt.
    Die Witze deines Großonkels tagaufhellend sind.
    Lob deinen Jüngsten über den grünen Klee.
    Bestaune den Duschbariton deines Gatten.
    Erheb die Himbeertorte deines Bäckers zur Leibundmagenspeise.
    Na los! Lass dir was einfallen.
    Drei Lobeshymnen oder fünf einfache Komplimente sind drin.
    Mindestens.
    Weil heute Sonntag ist.

Verkaufsoffene Sonntage als Herzschrittmacher für den Einzelhandel

Verkaufsoffene Sonntage gelten als Herzschrittmacher für den Einzelhandel und werden immer wieder als Standortvorteil für eine Kommune bewertet. Doch das war nicht immer so. Franz Segbers, der frühere Referent für Ethik und Sozialpolitik im damaligen Diakonischen Werk in Hessen und Nassau (heute: Diakonie Hessen) hat darauf aufmerksam gemacht, dass bis zum ersten Ladenschlussgesetz in Deutschland, das am 1. Oktober 1900 in Kraft trat, sonntags die Läden zwei oder drei Stunden geöffnet hatten. Nur in wenigen Großstädten wie etwa Frankfurt oder Dresden galt die „volle Sonntagsruhe“. Sie legten Wert auf Modernität und Fortschrittlichkeit. Kaufrausch war verpönt. Denn Städte und Gemeinden, die sonntags die Läden öffneten, galten damals als veraltet und rückständig. Wenn heute Kommunen als familien- und menschenfreundlich wahrgenommen werden, gerade weil sie keine verkaufsoffenen Sonntage haben wollen und Sonntagsarbeit so weit wie möglich reduzieren, dann hat der der freie Sonntag doch Zukunft. Oder?

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Der weite Raum ist auch ein Ort in der Seele.
Er entsteht, weil andere liebevoll,
kreativ und fürsorglich sind.

(Melanie Beiner zu Psalm 31,9)

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